







Freitagnachmittag an einem kühlen Herbsttag: Wir waren bereits eine Woche mit unserem Bus auf Sardinien unterwegs. Also suchten wir ein Platz, nicht allzu weit entfernt vom Hafen. 40 Minuten Fahrt an einen Platz, den ich nur zufällig entdeckte. Noch bevor ich das Meer sehe, erblicke ich ein verlassenes Haus, aber ich ahne noch nicht, was uns erwartet.
Wir fahren durch alte und wirklich leere Strassen. Die Stimmung ist unheimlich. Der Platz, den wir uns ausgesucht hatten, liegt oberhalb des Dorfes und dort sehe ich zum ersten Mal alle Häuser. Ein leeres Dorf. Keine Menschenseele. Zu Fuss machen wir uns wieder auf den Weg nach unten. Schon auf den Klippen stehen einige völlig verfallene Häuser, die heute wohl als Müllhalden genutzt werden. Wir entdecken das alte Elektrikerhaus. Ich bewundere die Gebäude, doch will unbedingt weiter nach unten in das Dorf. Kein Haus scheint bewohnt zu sein, das Schiff und das Material, das hier liegt, wurden sicher seit Jahren nicht bewegt. Es scheint alles völlig verkommen und vermüllt zu sein. Ich bekomme eine Gänsehaut. Wir entdecken die erste Informationstafel, die in verwaschenem Italienisch erklärt, dass La Argentiera bis zum zweiten Weltkrieg eine Minenstadt war, in der täglich über 40 Tonnen Gestein abgebaut wurden. La miniera, gli uomini, l’argento. Also, die Mine, die Männer, das Silber. Irgendwann im 20. Jahrhundert sollen hier fast 2’000 Menschen gelebt haben, heute kaum denkbar. Doch beim weiteren begehen der Stadt treffen wir vereinzelt Menschen an, scheinbar Fotografen. In einer Gasse sitzen der italienischen Form eines Wintergartens von einer Bar einige Menschen. Sie scheinen mürrisch und nicht sehr begeistert ab unserem Besuch. Es ist nur eine Vermutung, aber ich denke diese Leute wohnen tatsächlich noch in der Stadt. Bei einer Online-Recherche stellt sich heraus, dass doch noch 70 Personen die scheinbar verlassene Stadt bewohnen.
Wir gehen weiter und entdecken das Hauptgebäude der Arbeiter: Officine Landworks. Die Gebäude, von denen noch erstaunlich viel erhalten ist, sind atemberaubend schön. Als ich das Büro betrachte, wirkt es belebt. Es sieht aus wie ein Atelier. Im Hinterhof hängen grosse QR-Codes, die mich zu einer Website von „Landworks“ führen. Eine ältere italienische Stimme erzählt von der Stadt und vom Meer. Meine Augen bleiben an einem alten Bild von Minenarbeitern hängen. Weiter unten entdecke ich eine weitere Infotafel. Nach langem Grübeln verstehe ich endlich: Eine Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern hat es sich anscheinend zur Aufgabe gemacht, die Geschichte der Stadt in einer Art begehbarem, grossflächigem Museum lebendig werden zu lassen. Ich war sprachlos und so überrascht so einen geheimnisvollen Ort irgendwo, komplett abgeschottet, an der Küste Sardiniens anzutreffen. Normalerweise wäre ich nach so einer Erfahrung mit einem mulmigen Gefühl ins Bett. Doch das Dorf schien mir schon lange nicht mehr unheimlich.
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